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Interview in der "Kreiszeitung Böblinger Bote" vom 29.11.2001.
Das Gespräch führte Redakteur Martin Müller:


Fremdsprache in Klasse eins – Probleme für Legastheniker?



BÖBLINGEN (mmü) – In aller Munde ist der Fremdsprachenunterricht für Schüler ab Klasse eins. Dass hierdurch neue Probleme für Legastheniker entstehen können – darauf verweist Helmut Dast vom Böblinger Institut für schriftsprachliche Pädagogik (ISP).

KRZ:
Herr Dast, Englisch und Französisch als Grundschulfach: Viele Eltern begreifen das als Chance für die Kinder, einen vergleichsweise leichten Zugang zur Fremdsprache zu finden. Teilen Sie diese Euphorie?

Helmut Dast:
Je jünger die Kinder, desto leichter kommen sie in den Klang jeder Sprache hinein. Das ist aber auch der einzige Vorteil. Von natürlich zweisprachig aufwachsenden Kindern weiß man, dass Lesen und Schreiben bei jedem Kind zuerst und lange Zeit nur in der jeweilig stärkeren Sprache gelehrt werden soll.

KRZ:
Wie macht sich denn die Legasthenie in der Fremdsprache Englisch bemerkbar?

Dast:
Generell gilt, dass solche Kinder, ob normal- oder hochbegabt, die jeweilige Rechtschreibung nicht als Repräsentanz der Lautstruktur empfinden bzw. bei lautreinen Rechtschreibungen als Abbildung der Lautstruktur erkennen können.

KRZ:
Welche speziellen Problemstellungen für Legastheniker sehen Sie durch den parallelen Unterricht in zwei Sprachen?

Dast:
Parallel laufendes Grundschulenglisch führt zu einem ungenaueren Erfassen des Lautbestandes jedes einzelnen Wortes. Das ist unvermeidlich und hat mit der mündlichen Einführung des lautunreineren Englisch selbst zu tun – auch wenn noch kein Wort geschrieben wird. Da gleichzeitig im Deutschunterricht ein Wissen angebahnt wird „Welcher Buchstabe gehört zu welchem Laut?“, wirkt dieses Wissen als unpassende Hintergrundmatrix in den Köpfen der Kinder. Unklar? Ein Beispiel: Auch ein Kind der Klasse eins wird den ausschließlich in Englisch vorgetragenen Farbnamen blue, green, brown recht schnell die entsprechend eingefärbten Plättchen zuordnen können. Das Kind sieht die Farbplättchen und weiß die deutschen Farbnamen, auch wenn diese keiner laut ausspricht; also: green/grün: das gr ist gleich, sogar das n, der Rest ist egal, blue/blau: das bl ist gleich, der Rest ist dem Kind wieder egal. Der Rest, der da immer so egal war, gibt kurze Zeit später, knallhart gesagt, die Legasthenie. Das englische Wort brown spricht man sogar so aus wie den deutschen „Lauthaufen“ braun. Ist es denn so wenig begreifbar, dass Grundschulkinder durch die englischen „Stör“eindrücke die Lautreinheit der deutschen Sprache viel langsamer wahrnehmen.

KRZ:
In den Schulen werden jetzt doch Stütz- und Förderkurse angeboten. Reicht das nicht aus, um die Schwierigkeiten beim Schreibenlernen wieder auszuräumen?

Dast:
Viele Lehrer sagen sogar selbst, dass dieses Angebot alleine nicht ausreichen kann. Mitte Oktober hielt ich einen Vortrag zu diesem Thema an der Wilhelm-Hauff-Schule in Böblingen. In der Nachbesprechung haben die Lehrerinnen einhellig die zu knapp bemessenen Fortbildungsmaßnahmen und die bruchstückhafte Versorgung mit Informationen über Legasthenie beklagt.

KRZ:
In anderen Bundesländern außer in Baden-Württemberg wird erst ab der dritten Klasse eine Grundschulfremdsprache unterrichtet. Unterschreiben Sie diesen Ansatz?

Dast:
Unbedingt. Ab Klasse drei haben die Schüler einen Fundus deutscher Wörter, die sie sicher lesen können, sie können also die englische Lautstruktur innerlich davon absetzen. Es ist nicht von Belang, dass die deutschen Kinder ja auch in Klasse 1 schon Deutsch sprechen konnten. Erst ein Kind, das lesen kann, erlebt die Lautstruktur jedes einzelnen Wortes deutlicher – und darauf kommt es an.

KRZ:
Auf Bundesebene arbeitet die Kultusminister-Konferenz zurzeit an einem neuen Legasthenie-Erlass. Sie wurden als einer der Experten hinzugezogen. Worum geht es da in einigen Punkten?

Dast:
Nach vielen Fehldeutungen in der Legasthenieforschung (zum Beispiel gibt es keine sozialschichtspezifische Legasthenie, legasthene Erscheinungen treten auch bei Kindern belesener Bücherfreunde auf) sind heute drei Ursachenstränge übrig geblieben: Vererbung, Entwicklungsverzögerungen im sprachlichen Bereich und unpassender Unterricht. Letzteres ist aber nicht als allgemeine Schulkritik zu verstehen. Die Wissenschaft thematisiert, dass auch guter Unterricht zumindest vorübergehend für einen Teil der Kinder nicht passend sein kann. Diese Punkte will man möglichst alle im neuen Erlass unterbringen. Auch, um die Legasthenie von einer allgemeinen Lernschwäche abgrenzen zu können.
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Fremdsprachenlegasthenie -ein unterschätztes Thema. Für Legasthenie und LRS in der Fremdsprache Englisch ist unser Buch: Das unnötige Versagen in Englisch inzwischen das Standardwerk in den deutschsprachigen Ländern, wenn es um konkrete unterrichtsnahe Umsetzungen der aktuellen psycholinguistischen und kognitionspsychologischen Spitzenforschung geht. In eben diesem Bereich ist das Buch von Prof.(ao) Dr. Karin Landerl das Standardwerk: Karin Landerl: Legasthenie in Deutsch und Englisch. Frankfurt(M), Bern; Lang -Europäischer Verlag der Wissenschaften, 1996.

Wenn schon ab Klasse 1 das Grundschulfremdsprachenabenteuer beginnen soll, so sollten die Lehrer wenigstens eine systematische, aber dennoch einfühlsame schriftsprachliche Erziehung verfolgen, ... um die Schüler nicht ganz im "Sprachbad" absaufen zu lassen, meint auch Jürgen Mertens, PH Freiburg. (Der Zielrichtung seiner Argumentation nach und in seinem Fall für das Französische.)

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